Als Bipolar Feminin vergangenes Jahr mit „Piccolo Family“ ihre erste EP veröffentlichten, klang das wie ein Schrei der Ermächtigung. Inzwischen haben sie sich durch ihre mitreißenden Live-Gigs eine leidenschaftliche Anhänger*innenschaft erspielt, ein denkwürdiger davon beim Popfest 2022.
„Wir spüren jetzt eine andere Form von Verantwortung“, sagt die Band, „Die Arbeit ist bewusster und reflektierter geworden. Ein immer fortlaufender Prozess.“
Um dabei nicht im eigenen Saft zu braten, haben Frontfrau Leni Ulrich, Jakob Brejcha (Gitarre),
Samuel Reisenbichler (Schlagzeug) und Max Ulrich (Bass) sich für die Produktion ihres ersten Albums mit Produzent FAZO666FAZO (Baits, DEATHDEATHDEATH etc.) zusammengetan. „Ein fragiles System“ enthält zehn mitsingbare Konfrontationen mit der Bipolarität von Wut und Liebe und belegt dabei, dass Rockmusik auch 2023 noch genau so relevant ist wie der in ihr vermittelte Gehalt: „Das ist ein fragiles System / Nicht auszudenken, hier was zu drehen / Nichts ist austauschbar / Es ist, wie es ist, wie es war.“ (Der Opener „Wie es ist“)
Bloß weil diese Band eingängige Pop-Songs schreibt, fühlt sie sich noch lange nicht zu höflichen Umgangsformen verpflichtet. Im Gegenteil. „Jetzt kannst du auf alles scheißen“, singt Leni Ulrich in „Am Boden“. Der Sound von Bipolar Feminin mag disziplinierter geworden sein, aber ihrer Strukturkritik verleiht das bloß zusätzliche Schärfe („Putz die Zähne / Iss Salat / Struktur, Struktur, Struktur“, heißt es in „Struktur“). Die Fähigkeit dieser Band, zwischen kathartischen Momenten auf lauernd leise zurückzuschalten, schafft Raum für das Eingeständnis der eigenen Verwundbarkeit. Und mit „Herr Arne“ gönnen Bipolar Feminin sich sogar einen ironiefreien Tribut an den Trommler von Tocotronic. Um es frei nach einem derer alten Klassiker zu sagen: Bipolar Feminin sind längst nicht nur Teil, sondern Zentrum ihrer eigenen, selbst aufgebauten Bewegung geworden. Eine Band auf deiner Seite.
Foto © Apollonia Theresa Bitzan