Prog ist ja nun schon länger kein Schimpfwort mehr. Und wenn dem so wäre, würden sich Milk+ davon wohl genauso wenig aufhalten lassen wie von den traditionellen dynamischen oder harmonischen Grenzen eines rockenden Power Trios. Wenn David Furrer (Gitarre, Stimme), Navid Djawadi (bass) und Alex Kerbl (drums) sich mit geölter Nonchalance präzise durch ein Dickicht komplexer Synchron-Breaks hanteln, lockert sich bei ihrem Publikum gern die Kinnlade, und sonst grundvernünftige Menschen beginnen wirres Zeug der Sorte „beste Live-Band der Stadt, des Landes, des Kontinents…“ zu stammeln. Ihr Anfang des Jahres erschienenes, von Ikey Owens von The Mars Volta produziertes Album „Band on Wire“ bannte die Live-Macht von Milk+ erstmals überzeugend auf Tonträger. Es mag Leute geben, die hier an Muse denken, andere fühlen sich vielleicht an die melodischeren Momente von The Mars Voltas Vorgängern At The Drive-In oder an die tabuisierten Berührungen zwischen Jazz und Rock in den mittleren Siebzigern bis frühen Achtzigern erinnert. Milk+ selbst vergleichen ihr virtuoses Jonglieren mit Hochgeschwindigkeits-Riffs dagegen mit dem größten Coup des Drahtseil-Artisten Phillipe Petit, der 1974 eine Stunde lang in über 400 Metern Höhe zwischen den Twin Towers des World Trade Centres in New York die waghalsigsten Kunststücke vollbrachte. Ein fraglos vermessenes Gleichnis — aber „Band On Wire“ klingt als Titel doch bildhaft und passend. „Wake up the enemies, let’s wake up our enemies,“ singt David Furrer im Song „Venus Breakdown“. Keine Sorge, die müssten schon taub sein, wenn sie da nicht aufwachen.