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ERNESTY INTERNATIONAL

Soviel ist belegt: In genau dem Moment, wo man sagt, jemand sei ein exzellenter Singer-Songwriter, denken zwei Drittel der zuhörenden Menschheit bereits an ihren nächsten Zahnarzttermin. Das ist im Falle des Ernst Tiefenthaler alias Ernesty International allerdings ihr großer Schaden. Denn der in methodischer Stimmigkeit via Mehrspurtechnik meist mit sich selbst singende Ernst Tiefenthaler ist im Grunde kein Narziss, sondern ein notorischer Untertreiber – möglicherweise eine Überlebensstrategie seiner anonymen radfahrenden Favoritner Heimstudioexistenz, die sich der Begrenztheit jenes jenseits des Wiedner Gürtel existierenden Bobo-Wien bewusst bleibt, wo bald einer König sein kann. Darauf zumindest scheint Tiefenthaler auf selbstironische Weise anzuspielen, wenn er auf dem Cover seines jüngsten Albums „Ernesty IV“ eine glitzernde Krone trägt oder sich selbst den „Chairman“ und sein Label EMG (Ernesty Music Group) nennt. Ernesty ist international, weil er auf englisch singt. Die als Auslöser kollektiver Identifikationsgefühle in seine mehr oder weniger getarnten Liebeslieder eingestreuten Sinnbilder haben aber durchaus lokalen Bezug: Seine für die menschenleeren Gehsteige der Drinnenhockerstadt Wien geschaffene Anti-Atomisierungs-Hymne „The Decline of Television“ zum Beispiel, die aus der Beschwerde übers Fernsehprogramm einen Aufruf zum Abdrehen und Zusammenkommen macht, oder der allen WienerInnen wohl bekannte „Smell of Dogshit in Early December“. Dass Tiefenthaler sich im gleichnamigen Song ganz nebenher an der Programmierung von Drum- and Bass-Patterns probiert, ohne deshalb wie so viele andere großspurig eine elektronische Neugeburt für sich zu reklamieren, darf genauso mit zum erwähnten Understatement gerechnet werden wie etwa das von seiner Partnerin Eloui auf der Hauptallee gedrehte One-Shot-Video zum unterverkauften Nicht-Hit „Not Alaska“ (bei Verfassen dieses Textes skandalöse 819 Views auf Youtube). Die Frage bleibt, wie Ernesty International auf die Dauer damit umgehen wird, dass der Rest der Welt ihn zunehmend wichtiger nimmt als er sich selbst.