Freitag, 29. Juli 2016 02.00

Das Trojanische Pferd

„Ich hab Menschen verschreckt, ja ich war wohl sehr direkt“, so singt Hubert Weinheimer in „Stimmt“, dem Opener von „Dekadenz“, der gewaltigen aktuellen LP des Trojanischen Pferds. Allerdings, mit schonungslosen Worten hat Weinheimer nie gegeizt, und doch ist es das lyrische Element seiner Songschreiberkunst (siehe etwa das alles andere rundum zum Stillstand zwingende „Lied für S.“), das die gerechte Wut dieses Gefühlsmenschen so ansteckend und euphorisierend macht. Das Trojanische Pferd hat sich seit seinem ersten Album 2009 mehrfach gemorpht, nach Hans Wagners Ausstieg spielt Weinheimer nun mit dem Multiinstrumentalisten-Grenzgenie René Mühlberger (remember Velojet?) an Keyboards, Gitarre, Schlagzeug und dem hier als Schlagzeuger und Bassist agierenden Singer-Songwriter David Schweighart zusammen, wobei sich beim Popfest-Auftritt auch noch zwischen drei und fünf Bläserinnen und Bläser dazugesellen könnten. Allerhand mag da passieren.
Untypischerweise ist also auch die Dekadenzphase ein Höhepunkt im Schaffen dieser Band mit einem beachtlichen Ohrwurm-Repertoire aus einer nahezu perfekten Diskographie, von „Es geht si aus“ über das „Idiotenlied“, „Wien brennt“ und den „Popsong“ bis hin zum „Seerosenteich“.
Wie heißt es auf der Website der Band in der ersten Person Plural: „Dekadenz ist der Befund unserer Zeit. ‚Unser‘ Lebensstil ist so nicht mehr zu halten. Das weiß man, aber man verhält sich nicht danach. Wir am allerwenigsten: Seit acht Jahren machen wir Musik ohne Konzessionen und gefallen uns auch noch darin, dem Zeitgeist teilweise zu trotzen: C’est la Decadence: Egozentrismus und Niedergang in einem. Wir haben schon sehr viele Schiffe vorbeiziehen sehen. Retrospektiv wird die aktuelle Poplandschaft womöglich in einem anderen Licht erscheinen.“
Die Selbstbescheidung verbietet es, die Prognose auszubuchstabieren, aber ja: In künftigen Retrospektiven wird Das Trojanische Pferd unter dem Titel Absurd Unterbefeierte Anti-Pop-Legende firmieren.